die Vereinbarkeitslüge

Manchmal habe ich das Gefühl, man sollte die Dinge so nennen wie sie sind. Überforderung oder Zusammenbrüche sind keine beliebten Wörter. Trotzdem finde ich, man sollte sie aussprechen. Vielleicht als Erstes sich selbst gegenüber.

 

Mich zum Beispiel bringt ganz vieles an den Rand der kompletten Überforderung. Dinge, die ganz normal geworden sind in der unfassbaren Geschwindigkeit und Dichte unseres Alltags. Die Videos im Migros Do it & Garden, die einem einen Permanentmarker erklären. Blick-Nachrichten im Postauto. Die Lern-Apps mit Münzpunkte zum Gamen von drei Kindern. Und manchmal auch das Hightech Bibliotheksgerät welches die Bücher vom ganzen Tisch auf mir unerklärliche aufscannt.

 

Tagtäglich versuche ich den Balanceakt im Leben zu halten im Bewusstsein welche Privilegien und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten wir heutzutage alle erleben dürfen. Wir können Mütter und Selbständige sein. Wir dürfen Job und Familie gleichzeitig mit Freundschaften, Beziehungen, und persönlichen Leidenschaften vereinbaren! Das gab es noch nie. Weil das Leben auch noch nie so schnelllebig war.

Wir machen ganz Vieles und ganz Vieles ganz schnell. Weil das heute alles auf einmal auch möglich ist.

Ich bin Profi darin wenn ich einen guten Tag erwische.

Glücklicherweise bin ich aber auch Profi im Fallen. Und der Fall ist hart.

 

Ich weiss wie es sich anfühlt, die Kinder für einen Notfallaufenthalt im KIZ zu verabschieden. Wenn jede kleinste Entscheidung eine Zuviel wird und der Kopf komplett aussteigt. Ich weiss ganz genau was es bedeutet, wenn ich am Nachmittag schon denke ich schaffe es nicht bis zum Abend. Wenn ich im Coop stehe und nicht mehr weiss wo ich bin - und warum.

Ganz viele Reize und Informationen da draussen können wir nicht steuern. Wir können nur steuern ob sie uns alle erreichen und wir passiv überflutet werden oder nicht. 

Die  Vereinbarkeit der siebenundachtzig offenen Tabs am Abend in unserem Kopf hat einen hohen Preis. Und der sieht wahrscheinlich bei jedem ganz anders aus.  Aber wir sollten uns dringend fragen, ob es nicht Zeit wäre, ganz viele Tabs zu schliessen.